In der Nacht vom 28. auf den 29. August 1909 wurde in Potsdam-Bornstedt die 78-jährige ehemalige Opernsängerin Josephine Rudol­fi, Witwe eines Schauspielers und Regisseurs, in ihrer Wohnung durch einen Revolverschuss in die Schläfe ermordet. Der Täter, der den Mord vollständig nackt verübte, war eben im Begriff, die Wertsachen der Getöteten an sich zu nehmen, als er durch aufmerksam geworde­ne Hausmitbewohner gestört wurde und flüchten musste.

Die herbeigerufene Polizei fand in der Wohnung die Kleidung des Täters und in einer Rocktasche den Leihschein einer Potsdamer Pfandleihanstalt, der auf den Namen Hackradt lautete. Die Ermitt­lungen im Polizeiregister ergaben, dass es sich um den 29-jährigen, in Potsdam geborenen und wohnhaften Schriftsetzer Max Hackradt handelte, der zuletzt bei der Potsdamer Tageszeitung beschäftigt war.

Im Oktober 1909 musste sich der vierfache Vater vor dem Pots­damer Schwurgericht verantworten. Auf dem Gerichtstisch lagen als Beweisstücke der Revolver, mit dem die Tat ausgeführt wurde, die Kleidungsstücke, die der Angeklagte am Tag der Tat trug, und die Kleidung der Getöteten. Eine große Tafel demonstrierte den Ge­schworenen die Örtlichkeiten. Der Angeklagte, der gefesselt in den Saal geführt wurde, war „ein mittelgroßer Mann mit rohen Gesichts­zügen, spärlichem schwarzen Haupthaar und schwarzem Schnurr­bart“.

Als Kassierer des Buchdruckerverbandes hatte er sich Unregelmä­ßigkeiten zuschulden kommen lassen. Um einer Anzeige zu entgehen, sah er sich gezwungen, den Fehlbetrag abzustottern, wodurch er in fi­nanzielle Bedrängnis geriet. In Potsdam kaufte er sich einen Revolver, um sich auf illegale Weise Geld zu verschaffen. Er suchte sich die Wit­we als Opfer aus, da er fälschlicherweise annahm, dass sonst niemand in ihrer Villa wohnte.

Bezüglich der Frage, warum er die Tat nackt verübte, nahm man ur­sprünglich an, er habe vermeiden wollen, dass Blutspritzer auf seine Klei­dung kämen. In seinem Verhör durch den Gerichtsvorsitzenden stritt Hackradt dies aber ab und deutete an, dass er nach der Tat die Kleidung der Witwe anziehen wollte, um besser flüchten zu können. Es löste einige Heiterkeit im Gerichtssaal aus, als zur Sprache kam, dass er schon früher häufig Kleidungsstücke seiner Frau getragen hatte.

Seinen Angaben zum Tathergang zufolge drang er unbemerkt in die Villa ein, zog sich aus und wartete mit geladenem Revolver hinter einer Tür, bis die Witwe eintrat, die er dann aus geringer Distanz niederschoss. Er begann, die Wohnung nach Beute zu durchsuchen. Als Stimmen zu hören waren, musste er aber – nach wie vor unbekleidet – die Flucht er­greifen. Er klopfte an die Tür eines Hauses, ein junges Mädchen öffnete und schrie um Hilfe, als sie ihn sah, woraufhin er weiterrannte. In Rich­tung Bornim kam er an dem Stift Bethesda vorbei. Einer Schwester er­zählte er, ihm seien bei einem Überfall die Kleidungsstücke abgenommen worden. Sie glaubte ihm aber offenbar nicht und schickte ihn fort. Auf einem Gehöft nahm er dort hängende Wäsche ab und zog sie an, obwohl sie noch nass war. In der Nähe des Schlosses Sanssouci sah er eine Pat­rouille Gardejäger kommen und versteckte sich im Gebüsch. Die Patrou­ille hatte ihn jedoch bemerkt und brachte ihn auf die Schlosswache, wo er wieder die Geschichte von dem Überfall zum Besten gab. Da auf der Wa­che noch nichts von dem Mord bekannt war, hing man Hackradt einen Militärmantel um und geleitete ihn zu seiner Wohnung. Hier kleidete er sich an und suchte anschließend auf seinem Fahrrad das Weite.

Später wurde er noch einmal auf der Flucht ergriffen, als er sich im Zug nach München befand und aus dem Fenster des Abteils Schüsse aus seinem Revolver abgab. Man übergab ihn in Magdeburg der Polizei, aber auch hier wurde er wieder freigelassen, nachdem er angegeben hatte, sich den Revolver zum Schutz vor einem Überfall angeeignet und ihn durch die Schüsse aus dem Zug getestet zu haben. Erst bei München konnte er gefasst werden. Er hatte in Allach ein Fahrrad gestohlen, war mithilfe ei­nes Polizeihundes, der ihn an den Füßen festhielt, verhaftet und als der steckbrieflich gesuchte Mörder der Witwe Rudolfi erkannt worden.

Die Hinrichtung des am 11. Oktober 1909 wegen Mordes und schwe­ren Raubes zum Tode verurteilten Hackradt nahm Scharfrichter Schwietz am 26. Mai 1910 in Plötzensee vor. Um 6 Uhr verkündete das Armesünder­glöckchen den Sträflingen, dass ein schweres Verbrechen gesühnt wurde.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch “Morde im preußischen Berlin” von Udo Bürger, Elsengold Verlag 2020, ISBN 978-3-96201-037-9.

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