Auf dem Plateau des Mittelberges nahe des kleinen Ortes Wangen bei Nebra an der Unstrut fand man im Jahr 1999 eines der bedeutendsten Objekte der Bronzezeit in Deutschland: die Himmelsscheibe von Nebra. Iris Newton erzählt in ihrem Buch die unglaubliche Geschichte, wie die über 3600 Jahre alte Scheibe gefunden wurde, und geht den grundlegenden Fragen nach: Wie kam ein so ungewöhnliches Objekt auf den Mittelberg? Was für eine Bedeutung hatte es? Und was erzählt es uns über das Leben der Menschen rund um den Mittelberg während der Bronzezeit?
was-mit-geschichte.de wirft heute einen Blick in das Buch Die Welt der Himmelsscheibe (Palm Verlag).
Arche Nebra und Weltkulturerbe
Angefangen bei den Findern, deren Leben sie für immer verändern sollte, über die Mittelsfrau des illegalen Verkaufs, die sich von der Scheibe geradezu »verhext« fühlte, bis hin zum Direktor des Landesdenkmalamtes, dessen Lebensaufgabe ihre Wiederbeschaffung und Erforschung geworden ist, hat die Himmelsscheibe seit ihrer Auffindung auf vielerlei Arten Einfluss auf die Menschen genommen, die mit ihr in Berührung kamen. Sie hat sowohl durch ihre Einzigartigkeit als auch durch die Umstände ihrer Auffindung die Begeisterung für die Archäologie der Bronzezeit befeuert, wie sich an den unzähligen Veröffentlichungen von Fakten und Fiktion ablesen lässt. Sie hat der Wissenschaft neue Anreize und Einsichten beschert und mit der Ausstellung der Funde in einem speziell inszenierten Abschnitt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle und der eigens am Fundort errichteten Arche Nebra sowie der Einrichtung der Tourismusroute »Himmelswege« den Tourismus einer ganzen Region angekurbelt.
Die Arche Nebra ist ein kleines architektonisches Juwel. Der moderne Bau aus Glas und Beton mit einer goldglänzenden Aluminiumverkleidung soll an die Himmelsbarke erinnern. Er schmiegt sich harmonisch in die Landschaft zwischen Mittelberg und Unstruttal ein. Die Ausstellung im Inneren, welche die Fundgeschichte und den Fund selbst thematisiert, lässt den Besucher durch die Anordnung der Inneneinrichtung gleichsam in eine dreidimensionale Himmelsscheibe eintreten. Durch große Panoramafenster wird der unmittelbare Bezug zur Fundstelle und zur umgebenden Landschaft hergestellt.
Die Originalfunde sind allerdings im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle zu sehen. Das Herzstück des Sonderbereiches bildet natürlich die Himmelsscheibe selbst, die allein in einem verdunkelten Raum unter einem künstlichen Sternenhimmel präsentiert wird, doch wird auch den Beifunden die ihnen gebührende Aufmerksamkeit entgegengebracht.
Seit Juni 2013 gehört die Himmelsscheibe von Nebra zum UNESCO-Weltdokumentenerbe in Deutschland. Damit wurde die Himmelsscheibe in Deutschland auf den gleichen Rang mit technologisch-wissenschaftlichen Dokumenten wie dem Edison-Zylinder und dem Benz-Patent, mit umfassendem Wissen wie der Bibliotheca Corviniana, mit gesellschaftlich-revolutionären Schriften wie der Gutenberg-Bibel und den Schriften von Karl Marx, mit literarischen Erzeugnissen von Goethe und den Brüdern Grimm, Dokumenten von politischer Bedeutung wie der Goldenen Bulle und Zeugnissen zum Bau und Fall der Berliner Mauer sowie mit Werken künstlerischer Schönheit wie Beethovens Neunter Symphonie erhoben.
Folgt man den Interpretationen der Himmelsscheibe, so entspricht sie selbst auch vielen dieser Kategorien: Sie ist ein wissenschaftliches Instrument, entstanden aus Jahren, wenn nicht Jahrhunderten, der Himmelsbeobachtung; sie enthält das himmelskundliche Wissen von Generationen, aber auch die religiösen Vorstellungen ihrer Zeit, ist gleichzeitig durch ihren Wert Ausdruck einer politisch-gesellschaftlich stratifizierten Gemeinschaft, aber auch eine Dokumentation handwerklichen Könnens mit Sinn für Ästhetik.
Ein Jahrhundertfund wird zum Kriminalfall
Die Himmelsscheibe von Nebra ist nicht nur ein sensationeller Ausnahmefund, der unser Wissen über die frühe Bronzezeit revolutionierte, auch die Fundgeschichte selbst ist außergewöhnlich und abenteuerlich. Am 4. Juli 1999 packten Henry Westphal und Mario Renner ihre Metalldetektoren ein und machten sich auf den Weg in den Ziegelrodaer Forst, um den Nachmittag dort mit »Sondeln« zu verbringen. Hobbysondengänger auf Antikensuche sind in Deutschland meist nicht sonderlich beliebt, noch wird es ihnen einfach gemacht, ihrem Hobby nachzugehen. Es müssen Genehmigungen des Grundeigentümers sowie oft auch der zuständigen Denkmal- und Naturschutzbehörde eingeholt werden. Einmal fündig, dürfen Sondengänger auch nicht einfach anfangen zu graben. Solche Aktivitäten sind durch die Denkmalschutzgesetze der Bundesländer geregelt und bedürfen meist einer Genehmigung, die in der Regel auch nur Fachpersonen erteilt wird. Die Denkmalschutzgesetze regeln nicht nur den Umgang mit und den Schutz von Kulturdenkmalen. Sie definieren auch, was als solches gilt. Das sind nicht nur Denkmale im herkömmlichen Sinne. Im Denkmalschutzgesetz von Sachsen-Anhalt beispielsweise heißt es dazu: »Kulturdenkmale im Sinne dieses Gesetzes sind (…) bewegliche Kulturdenkmale und Bodenfunde als Einzelgegenstände und Sammlungen, wie Werkzeuge, Geräte, Hausrat, Gefäße, Waffen, Schmuck, Trachtenbestandteile, Bekleidung, Kultgegenstände, Gegenstände der Kunst und des Kunsthandwerkes, Münzen und Medaillen, Verkehrsmittel, Maschinen und technische Aggregate, Teile von Bauwerken, Skelettreste von Menschen und Tieren, Pflanzenreste und andere Hinterlassenschaften«. Es fallen darunter also Einzel- wie auch Hortfunde, abgesehen natürlich von Bau-, Garten-, Landschafts- und anderen Denkmälern. Auch ist die Frage nach den Eigentumsrechten solcher Funde oft nicht geklärt: Gehört das Fundstück dem Finder, dem Grundeigentümer oder dem Land? In fast allen Bundesländern, mit Ausnahme von Bayern, gilt das sogenannte Schatzregal, eine juristische Regelung, nach der Schatzfunde ohne besonderen Übertragungsakt zum Staatseigentum werden. Die Ausgestaltung der Details dieser Regelung ist je nach Bundesland verschieden. Manche Länder sehen eine angemessene Entschädigung des Finders vor, bei manchen gilt es für Funde von besonderem wissenschaftlichen Wert oder die Art bzw. der Ort der Auffindung ist ausschlaggebend, z. B. in Grabungsschutzgebieten. Dies setzt natürlich eine entsprechende Meldung des Fundes bei den zuständigen Behörden voraus. Anders als beispielsweise in Großbritannien, wo teilweise gute Arbeitsbeziehungen zwischen Sondengängern und Bezirksarchäologen bestehen (natürlich gibt es immer Ausnahmen), werden Sondengänger in Deutschland von Berufsarchäologen oft mit Argwohn betrachtet. So werden auch jene Hobbysondengänger, die nicht in erster Linie auf Geschäftemacherei aus sind, sondern ein echtes Interesse an der Vergangenheit haben, ins Zwielicht gedrängt.
Ein unverhoffter Fund
In diesem Fall war aber wohl eher die schnelle Mark durch Militaria das Ziel des sonntagnachmittäglichen Sondelns. Als Henrys Westphals Sonde zu piepen begann und das Display »Overload« anzeigte, fegten die beiden Männer das Laub beiseite und begannen durch die dünne Schicht Waldboden in den sandigen Untergrund hinein zu graben. Der Boden war von der Julisonne so ausgetrocknet, dass er hart wie Stein war. Die Hacke musste her, nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche traf sie auf einen metallenen Gegenstand. Die beiden Sondengänger waren auf einen frühbronzezeitlichen Hortfund gestoßen, der mehr als zehn Kilogramm Metall enthielt. Neben der Himmelsscheibe gehörten dazu noch zwei Schwerter, ein Meißel, zwei Randleistenbeile und zwei Armspiralen, alles aus Bronze. Alle Stücke waren zusammen in einer Grube niedergelegt worden, die Bronzescheibe aufrecht an einen Stein gelehnt. Die Hacke hatte sie am oberen Rand getroffen und einen Teil der kreisförmigen Goldauflage abgerissen. Dies sollte später wichtig für die Feststellung der korrekten Ausrichtung der Himmelsscheibe werden. Doch zunächst verpackten Henry Westphal und Mario Renner ihren Fund und transportierten ihn ab. Für sie hatte sich die harte Arbeit gelohnt. Denn auch wenn sie die Scheibe zunächst noch für den Deckel eines Eimers oder Ähnliches hielten, wussten sie, dass für die anderen Fundstücke ein hübsches Sümmchen zusammenkommen dürfte.
Was darauf folgte, liest sich wie ein Kriminalstück.
Die beiden Sondengänger gingen erst einmal feiern und die Geschichte des Fundes blieb den anderen Kneipengängern nicht lange verborgen. Über Kontakte in der Sondengängerszene war schnell ein Zwischenhändler im Rheinland gefunden, der schon am nächsten Tag den gesamten Fund für 31 000 DM aufkaufte. Als Fundort wurde Sangerhausen angegeben. Der Zwischenhändler Achim S. versuchte, die Fundstücke mit Spülmittel und Stahlwolle zu reinigen. Dabei zerkratzten die weichen Goldauflagen auf der Scheibe. Ein Angebot eines Kunsthändlers wurde ausgeschlagen – die gebotenen 42 000 DM erschienen Achim S. zu wenig. Er hatte die Einmaligkeit der Scheibe erkannt und wollte sie für die stolze Summe von 1 Million DM an ein Museum verkaufen. Ein paar Fotos wurden an verschiedene Museen geschickt, so auch an Wilfried Menghin, den damaligen Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, das sich 1999 noch im Schloss Charlottenburg befand.
Menghin hatte bereits drei Jahre zuvor für das Museum den »Berliner Goldhut« angekauft, ein ebenfalls äußerst ungewöhnliches bronzezeitliches Fundstück, dem neueren Forschungen nach eine Kalenderfunktion zugeschrieben wird. Auf diesen Goldhut wird später noch ausführlicher eingegangen werden. Trotz der außergewöhnlichen Natur der Gegenstände winkte Wilfried Menghin dankend ab. Sangerhausen, der vorgebliche Fundort, befindet sich in Sachsen-Anhalt und dort galt schon damals das Schatzregal. An solcher heißen Ware wollte sich kein Museumsdirektor die Finger verbrennen.
Nachdem noch andere mögliche Käufer in Museen einen Ankauf abgelehnt hatten, verschwand der Fund von der Bildfläche. Die Gastwirtin und Hobbyarchäologin Hildegard Burri-Bayer, deren Wirtschaft in Kaarst bei Neuss in Nordrhein-Westfalen ein Treffpunkt für Schatzsucher und Sammler war, hatte von dem Fund gehört und dem Zwischenhändler einen Kunden vermittelt. Ein privater Sammler erwarb die Funde im Sommer 2000 für 230 000 DM als Altersvorsorge. Hildegard Burri-Bayer selbst war von der Himmelsscheibe so fasziniert, dass sie begann, einen Roman darüber zu schreiben. Dass die Himmelsscheibe sie in ihren Bann geschlagen hatte, sollte sie später sogar vor Gericht zu ihrer Verteidigung angeben.
Hier endet unsere Leseprobe. Den „Gerichtskrimi“ und viele Informationen und Abbildungen zur Entstehungsgeschichte der Himmelsscheibe sowie der prähistorischen Himmelbeobachtung finden Sie in unserem Buch Die Welt der Himmelsscheibe.
Die Archäologin Dr. Iris Newton ist als Buchautorin und Übersetzerin tätig. 2015 erschien im Palm Verlag ihr Buch „Die Bilderwelt von Lascaux“ (derzeit vergriffen).
Iris Newton
Die Welt der Himmelsscheibe
Entstehung – Funktion – Entdeckung
160 Seiten, 21 x 28 cm
100 Abbildungen
Hardcover
978-3-944594-62-0
€ 19,95
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