Die Zeit der Weimarer Republik in Berlin ist nicht nur die des Verbrechens, sie ist auch die große Zeit der Kriminalpolizei. Kriminalkommissare wie Ernst Gennat (1880–1939) werden zu Medienstars. Gennat, aufgrund seiner Körperfülle der „Buddha vom Alex“, oder einfach nur „Der Dicke“ genannt, ist nicht nur wegen seiner Vorliebe für Kuchen und schwarzen Kaffee legendär geworden. Er gilt als der große Reformer der Kriminalpolizei. Als Gennat 1904 zur Kripo kommt, gibt es noch kein spezielles Morddezernat und die Ausklärungsrate ist unbefriedigend. Um diesen Missstand zu beseitigen, organisiert Gennat eine „Zentrale Mordinspektion“ für Berlin, die am 1. Januar 1926 offiziell ihre Arbeit aufnimmt. Als Chef seiner neuen Inspektion koordiniert er nicht nur die Mordkommissionen, sondern hat auch die Kontrolle über alle Morduntersuchungen inne – mit Erfolg. Auf Gennats Initiative wird auch das berühmte „Mordauto“ angeschafft. Der Kastenwagen, ein schwarzer Maybach „Zeppelin“, kann nicht nur eine größere Personenzahl befördern, sondern hat auch alle am Tatort benötigten technischen Apparaturen „an Bord“ und kann je nach Bedarf in ein behelfsmäßiges Büro umfunktioniert werden. Wo auch immer das „Mordauto“ in den nächsten Jahren in der Stadt auftaucht, zieht es unzählige Schaulustige an.

Die „Todesermittlungskartei“, die bald Berühmtheit erlangen soll, ist Gennats persönliche Schöpfung und sein ganzer Stolz. Todesfälle nicht nur aus Berlin, sondern aus ganz Deutschland und dem Ausland sind hier gesammelt und nach verschiedenen Stichworten katalogisiert.

Darüber hinaus versteht es Gennat, das Interesse der Öffentlichkeit an spektakulären Verbrechen zu nutzen. Fahndungsaufrufe erscheinen nicht mehr ausschließlich auf den roten „Mordplakaten“ und in der Tagespresse, sondern werden über den Rundfunk verbreitet. In der „Berliner Funkstunde“ sprechen die ermittelnden Kommissare ausführlich über Mord- oder schwere Raubtaten. Auf seine Initiative wird 1938 erstmals ein Fahndungsaufruf im neuen Medium Fernsehen gesendet. Handelt es sich um ein besonders aufsehenerregendes Verbrechen, dann lässt die Mordkommission auch schon mal Flugblätter über der näheren Umgebung des Tatortes aus einem Flugzeug abwerfen. Selbst die modernen Reklamelaufbänder, Mitte der 1920er-Jahre noch eine Sensation, der jedermann Beachtung schenkt, nutzt die Polizei, um Fahndungsersuchen oder Steckbriefe an die Öffentlichkeit zu bringen. Zuweilen lässt die Kripo in Schaufenstern großer Geschäfte oder Warenhäuser sichergestelltes Beweismaterial öffentlich ausstellen. Scharen von Neugierigen pilgern dann herbei, um sich Tatwerkzeuge, die Kleider von Ermordeten oder Pakete, in denen Leichenteile verpackt waren, anzusehen.

Ernst Gennats Ruhm reicht weit über die Grenzen Berlins hinaus. Doch nicht nur hochrangige Kriminalisten aus England, Frankreich und den USA besuchen die Mordinspektion. Ende der 1920er-Jahre kommen sogar Charlie Chaplin und Edgar Wallace nach Berlin, um Gennat im Polizeipräsidium am Alexanderplatz Besuche abzustatten. Auch der Regisseur Fritz Lang recherchiert für seinen Film „M“, der erst später den Zusatz „Eine Stadt sucht einen Mörder“, bekommt, in Gennats Mordinspektion. Kommissar Lohmann im Film wird Ernst Gennat nachempfunden.

Auch den sogenannten „Ringvereinen“, mit deren Hilfe die Kripo in Langs Film den Kindesmörder findet, setzt Fritz Lang ein Denkmal. Die Fiktion kommt der Realität allerdings nur bedingt nah. Die ersten Ringvereine sind um 1890 mit der Gründung eines „Vereins ehemaliger Strafgefangener e. V.“ entstanden und sollen ehemaligen Strafgefangenen die Rückkehr in ein normales Leben erleichtern, denn die gesellschaftliche Situation Haftentlassener ist seinerzeit denkbar schlecht: Von der Gesellschaft verstoßen, bleiben sie Ausgeschlossene. Eine Rückkehr in die Bürgerlichkeit ist kaum noch möglich. Nach der Jahrhundertwende entwickeln sich die Ringvereine in ihren Vierteln zu einer nicht zu unterschätzenden Größe. Verschiedene Vereine wie „Immertreu“ kontrollieren ihren „Kiez“. Sie erpressen Gastwirte, ehemalige Strafgefangene, ihre Schützlinge, als Kellner einzustellen, verlangen Schutzgeld, beherrschen das „Rotlichtmilieu“. Kurzum, die beherrschen die Unterwelt. Die Polizei duldet die Ringvereine. Viele Kommissare halten sogar engeren Kontakt zu den Ringbrüdern, so auch Ernst Gennat. Denn andererseits sorgen sie für „Ordnung“. Sie halten die nicht organisierten Kriminellen, vor allem die immer aggressiver werdenden Jugendbanden in Schach und unterstützen die Polizei, wenn es um Mord geht. Man arrangiert sich, so gut es geht.

Die von den Ringvereinen regelmäßig veranstalteten Bälle mit manchmal 3000 bis 4000 Gästen sind gesellschaftliche Ereignisse und bieten der Klatschpresse reichlich Stoff; denn hier versammelt sich die „feine Jesellschaft“ von Berlin, und Ernst Gennat schwingt den Taktstock und dirigiert das Ganoven-Orchester.

In der Tat sind die Jahre der Weimarer Republik nichts weniger als friedliche Jahre: Fememorde, politische Auseinandersetzungen, Straßenschlachten zwischen Braunhemden und Rotfrontkämpfern gehören zum Alltag. Schusswaffen werden auf allen Seiten eingesetzt und fast täglich gibt es neue Todesopfer. Gegen die Gewalt von rechts wie von links bleibt die Polizei machtlos.

aus: Regina Stürickow, Verbrechen in Berlin, 32 historische Kriminalfälle, Elsengold Verlag, 2. Auflage 2016

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