Der Name der Kirche St. Thomas in Leipzig ist untrennbar mit dem ihres berühmtesten Kantors verknüpft: Johann Sebastian Bach. Musikliebhaber aus aller Welt kommen alljährlich nach Leipzig, um auf den Spuren des bedeutenden Barockkomponisten zu wandeln und den Thomanerchor zu hören. Zu Bachs Lebzeiten wenig bekannt, inspirierten seine Werke zahlreiche nachfolgende Generationen von Komponisten und gehören heutzutage zum festen Repertoire der klassischen Musik.

Die Musik war Johann Sebastian Bach in die Wiege gelegt. Der spätere Thomaskantor entstammte einer Familie von Stadtpfeifern und Organisten. Seine Laufbahn als Musiker war damit vorgezeichnet. Bach wuchs nach dem frühen Tod seiner Eltern bei seinem älteren Bruder in Ohrdruf auf und erhielt eine solide musikalische Grundausbildung. So konnte er neben Klavier und Orgel auch Geige spielen. In Sachen Komposition war er allerdings Autodidakt: Sein Wissen über Satztechniken eignete er sich vor allem selbstständig durch das gründliche Studium der Werke anderer Komponisten an. Bach verstand sich im Geist der Zeit vor allem als Handwerker, der zum Beispiel an einem Fürstenhof, bei einer kirchlichen oder städtischen Institution angestellt war. Seine Kompositionen waren daher zweckgebunden und erfüllten bestimmte Funktionen im geselligen Leben, bei öffentlichen Veranstaltungen oder im Gottesdienst.

Johann Sebastian Bach, Lithografie von Gustav Schlick 1840, von Gustav Schlick nach einem Gemälde von Elias Gottlob Haußmann, 1840. © AKG-Images, Berlin

Johann Sebastian Bach, Lithografie von Gustav Schlick nach einem Gemälde von Elias Gottlob Haußmann, 1840 © AKG-Images, Berlin

Seine berufliche Laufbahn begann Bach 1703 als Kammermusiker in Weimar. Es folgten Organistenämter in Arnstadt und Mühlhausen. Dort schuf er wichtige Orgelwerke. Anschließend kehrte der Musiker an den Weimarer Hof zurück, geriet aber mit seinem Brotherrn, Herzog Wilhelm Ernst, in Streit. Mit der Berufung als Kapellmeister an den Hof von Köthen wendete sich 1717 das Blatt. In Fürst Leopold fand Bach einen kenntnisreichen Musikliebhaber, dem er auch nach seinem Wechsel nach Leipzig 1723 verbunden blieb. In Köthen komponierte er vor allem Instrumentalkonzerte und Kammermusik, darunter die berühmten sechs Brandenburgischen Konzerte.

Bach war für Leipzig alles andere als die erste Wahl. Leipzig war Anfang des 18. Jahrhunderts eine wohlhabende Handels- und Messestadt, die im Gegensatz zu den Konkurrenten Hamburg und Frankfurt am Main eine Universität besaß und sehr auf ihr kulturelles Renommee bedacht war. Nach dem Tod des langjährigen Thomaskantors Johann Kuhnau im Sommer 1722 gestaltete sich die Suche nach einem Nachfolger schwierig. Nachdem die ersten beiden Wunschkandidaten die Stelle nicht antreten konnten, fiel die Wahl schließlich auf Bach. Besonders die guten Ausbildungsmöglichkeiten für seine Söhne haben diesen wohl bewogen, von Köthen nach Leipzig zu wechseln. Sein Gehalt lag nicht wesentlich höher als zuvor, doch musste er als Thomaskantor nichts für Wohnung, Licht und Heizung bezahlen. Zudem bestand Aussicht auf zusätzliche Einnahmen, beispielsweise bei Hochzeiten und Beerdigungen.

Der Posten des Thomaskantors umfasste mehr als den musikalischen Unterricht an der Anfang des 13. Jahrhunderts gegründeten Thomasschule. Er verpflichtete auch zum Latein- und Katechismusunterricht, was Bach allerdings einem Vertreter überlassen konnte, dem er dafür jedes Jahr 50 Taler von seinem Gehalt abtrat. Vor allem aber trug der Thomaskantor die Verantwortung für die Musik in den vier Leipziger Hauptkirchen St. Thomas, St. Nikolai, der Neuen Kirche und St. Petri. Insbesondere hatte er an jedem Sonn- und Feiertag für die musikalische Umrahmung des Gottesdienstes zu sorgen – insgesamt an etwa 60 Tagen im Jahr.

Üblicherweise übernahm der neue Kantor von seinem Vorgänger einen Grundstock an Kirchenmusik, den er dann mit der Zeit erweiterte und ergänzte. Bach war jedoch ehrgeizig und wollte selbst ein ganz neues Repertoire schaffen. In seinen ersten fünf Dienstjahren in Leipzig schuf er jeweils einen vollen Kantatenjahrgang – etwa drei Jahrgänge sind davon erhalten geblieben. Für die Aufführung der Kantaten standen ihm vier Stadtpfeifer und vier Kunstgeiger zur Verfügung. Der Chor rekrutierte sich aus den Thomasschülern; wer besonders begabt war, wurde als Solist eingesetzt. Die Kantaten erklangen sonntags im wöchentlichen Wechsel in der Thomas- und der Nikolaikirche, an den Feiertagen jeweils im Früh- bzw. Nachmittagsgottesdienst beider Kirchen.

Entsprechend seinem Amtsverständnis als Chorleiter entstanden in seinen Leipziger Jahren die großen geistlichen Werke von Bach – neben den Kantaten das Weihnachtsoratorium, Johannes- und Matthäuspassion sowie die h-Moll-Messe. Auch die Spätwerke, darunter die Goldberg-Variationen, das Musikalische Opfer und die unvollendete Kunst der Fuge, lassen sich funktional verstehen – als eine Lobpreisung Gottes, der nach der Vorstellung des tief im christlichen Glauben verwurzelten Komponisten die von ihm angewandten musikalischen Ordnungen geschaffen habe. Fast alle seine Werke unterzeichnete Bach mit Formeln wie Soli Deo Gratia („allein zur Ehre Gottes“).

Die Thomaskirche in Leipzig, West-Ansicht © Wikimedia Commons, Tuxyso, CC-BY-SA-3.0

Die Thomaskirche in Leipzig, West-Ansicht © Wikimedia Commons, Tuxyso, CC-BY-SA-3.0

Als Komponist führte er die alte polyphone Satzkunst zur Vollendung und verband sie oft mit kühnen Themen, zeigte sich aber auch dem neuen Konzertstil harmonischer Prägung gegenüber aufgeschlossen. Die Zeitgenossen schätzten Bach aber in erster Linie als virtuosen Organisten. Seine Kompositionen galten oft als schwierig, überladen und „altmodisch“ im Vergleich zu dem galanten Stil eines Georg Philipp Telemann oder des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel.

Kaum eines von Bachs Werken wurde zu seinen Lebzeiten gedruckt. Sie wurden zwar nicht vergessen – Wolfgang Amadeus Mozart lobte am Ende des 18. Jahrhunderts beispielsweise die Kompositionen als äußerst lehrreich. Aber wirkliche Anerkennung erfuhr Bachs Schaffen erst nach der „Wiederentdeckung“ der Matthäuspassion durch Felix Mendelssohn Bartholdy im Jahr 1829. Seither haben seine Kompositionen einen festen Platz im Klassikrepertoire erobert, aus dem sie heute nicht mehr wegzudenken sind. In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde Bachs Werk zum Gegenstand der sogenannten historischen Aufführungspraxis, bei der man den originalen Klang wiederherzustellen versucht. Seine Musik inspirierte aber auch Jazzmusiker wie Keith Jarrett und Nina Simone und erlebte poppige Neuinterpretatione

 

Diesen Beitrag und Texte zu 54 weiteren Schicksalsorten finden Sie in dem Band „Schicksalsorte. 55 Orte, die Geschichte machten“, Palm Verlag, Autoren:

Brigitte Beier hat nach dem Magisterstudium der Germanistik und Philosophie ein Volontariat in der Sachbuch-Redaktion eines großen Medienverlags absolviert und arbeitet seitdem als Sachbuchautorin, Lektorin und Übersetzung aus dem Englischen mit den Schwerpunkten Kunst und Kunstgeschichte, Geschichte und Zeitgeschichte, klassische Musik und Biografien.

Beatrix Gehlhoff lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Hamburg als freie Autorin, Redakteurin und Übersetzerin. Nach dem Studium der Germanistik und Musikwissenschaft in Bonn absolvierte sie ein Volontariat in einem großen Publikumsverlag und war anschließend in verschiedenen Buch- und Zeitschriftenredaktionen tätig. Ihre Themenschwerpunkte sind Geschichte und Zeitgeschichte, Musik und Reisen.

Ernst Christian Schütt studierte in Hamburg Soziologie, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Erwachsenenpädagogik mit dem Abschluss eines Diplom-Soziologen. Nach einem Volontariat und einer anschließenden längeren Redakteurtätigkeit in einemgroßen Buchverlag arbeitet er seit über 25 Jahren als Redakteur und Autor in Hamburg. Bekannt wurde er unter anderem durch sein Buch „Die Chronik Hamburgs“ sowie zahlreiche weitere Veröffentlichungen zu Hamburg-Themen sowie zur Zeitgeschichte.

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