In den vergangenen 120 Jahren wurde mehr oder minder heftig über die Frage nach dem tatsächlichen Alter der Doppelstadt Berlin-Cölln gestritten und auch darüber, ob eine der beiden Städte älter sein könnte als die andere. Doch die Urkunden verraten es einfach nicht.
Schon früh war das Wissen um den Ursprung der Doppelstadt verloren gegangen. Im Jahr 1476 prügelten sich Berliner und Cöllner Schüler bei der Fronleichnamsprozession. Ihr Streit entbrannte über der Frage, wer bei der Prozession vorn gehen dürfe. Die Berliner Schüler reklamierten dieses Privileg für sich mit dem Argument, dass Berlin älter sei als Cölln. Die Cöllner Schüler behaupteten dasselbe von ihrer Stadt. Zur Klärung dieser Frage wurde anschließend eine kirchenrechtliche Untersuchung eingeleitet, die zu dem Schluss kam, dass das Alter von Berlin und Cölln mithilfe der vorliegenden Dokumente und Urkunden nicht mehr bestimmt werden könne.
Es war deshalb ziemlich spannend, der Frage nach dem Zeitpunkt der ältesten Ansiedlung in Cölln mit archäologischen Mitteln nachzugehen, als im Mai 2007 neue Ausgrabungen an Symeons alter Wirkungsstätte, der St.-Petri-Kirche, begannen. Die letzte Petrikirche wurde 1964/65 auf Geheiß der DDR-Regierung gesprengt. Anschließend wurde der geschichtsträchtige Ort profan als Parkplatz genutzt. Kurz nach der Kirchensprengung begann der Archäologe Heinz Seyer 1967, an der Petrikirche zu graben.
Er fand sehr alte Mauern und unter den ältesten Mauern noch ältere Gräber. Dadurch war klar, dass die ältesten Gräber am Petriplatz zu Spuren unserer mittelalterlichen Vorfahren führen könnten. Heinz Seyer war es mit damaligen Mitteln nicht gelungen, das Alter der frühesten Gräber an der Petrikirche zu bestimmen. Heute aber steht uns mit der Radiokarbonmethode, der sogenannten C14-Datierung, eine Technik der Altersbestimmung von unverbrannten menschlichen Gebeinen und anderem organischen Material zur Verfügung. Schon sehr kleine Mengen reichen für solche Datierungen aus. Die Radiokarbonmethode beruht darauf, dass der Organismus während seines Lebenszyklus Kohlenstoff anlagert. Wenn der Organismus stirbt, wird die Anlagerung des Kohlenstoffs eingestellt und die Kohlenstoffisotope beginnen zu zerfallen. Dieser Zerfallsprozess geht zwar sehr langsam vonstatten, aber man kann ihn messen.
Bei den neuen Ausgrabungen an der Petrikirche wurden zwischen 2007 und 2010 3200 Gräber mit den Gebeinen von über 3700 Personen geborgen. Etwa zehn Prozent der Gräber enthielten die Gebeine von mehr als einer Person. Das größte Grab fasste zwölf Skelette. Die ältesten Gräber datieren in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts und gehören zu den ältesten mittelalterlichen Funden überhaupt. Dabei handelt es sich sowohl um Männer- als auch um Frauengräber. Die ältesten Holzfunde am Petriplatz datieren in das beginnende 13. Jahrhundert. Ein Brett, das in einem Brunnen verbaut war, erbrachte ein Fälldatum von/nach 1203.
Durch Isotopenuntersuchungen der Zähne der Toten kann man feststellen, wo diese Menschen aufgewachsen sind und wie sie sich ernährt haben. Deshalb haben wir Zahnproben aus einigen der ältesten Gräber zur Untersuchung an die Technische Universität Bergakademie Freiberg und an die Universität West-Florida verschickt. Die Zähne werden bei der Isotopenuntersuchung zerstört.
Wir haben zwei sehr unterschiedliche Labors ausgewählt, um zu gut abgesicherten Ergebnissen zu gelangen.
Bei den ersten Untersuchungen zeigte sich, dass der größere Teil des überprüften Personenkreises wohl aus der norddeutschen Tiefebene stammte. Die norddeutsche Tiefebene ist allerdings groß. Um den Bereich geografisch einzugrenzen, haben wir um Zahn- und Bodenproben aus anderen Regionen gebeten. Die Isotopensignaturen der Toten vom Petriplatz können so mit denen aus anderen Gebieten der norddeutschen Tiefebene verglichen werden. Diese Untersuchungen dauern noch an und werden längere Zeit in Anspruch nehmen.
Autorin dieses Artikels: Die Archäologin Claudia Maria Melisch leitete die Ausgrabungen am Berliner Petriplatz. Sie hat das internationale Forschungsprojekt zur Rekonstruktion der mittelalterlichen Bevölkerung Berlins entwickelt und mithilfe des Landesdenkmalamtes und der Humboldt-Universität Berlin in die Tat umgesetzt.
Mehr zu den Ergebnissen der Ausgrabungen an der St.-Petri-Kirche und weitere Artikel finden Sie in der Ausgabe „Berliner Archäologie“ des Magazins Berliner Geschichte.
Neueste Kommentare